Funktionsphrasen statt Nominalphrasen

In meiner "Syntax der filipinischen Sprache" [1] habe ich versucht, die Syntax dieser Sprache umfassend und konsistent darzustellen. Es liegt in der Natur dieses Unterfangens, dass die Beweggründe, diese Darstellung und keine andere zu wählen, nicht Bestandteil einer solchen Arbeit sind. An bestimmten Stellen der Arbeit habe ich meine Ansätze mit den in der linguistischen Forschung gebräuchlichen verglichen, aber das geschieht nur am Rande und in den Anhängen. Deshalb möchte ich hier erläutern, warum ich zu meinen - oft nicht konventionellen - Ansätzen gekommen bin.

Zunächst möchte ich das Ziel "umfassend und konsistent" beschreiben: Jeder Satz der sprachlichen Wirklichkeit des heutigen Filipino (Tagalog) soll in eine solche Arbeit "passen", also möglicht ohne künstliche Anpassungen und Ausnahmeregelungen erklärbar sein. Dies hat mich gezwungen, viele unterschiedliche Beispiele aus der sprachlichen Wirklichkeit (und nur wenige aus Grammatiklehrbüchern und linguistischen Arbeiten) zu untersuchen, und ein Gedankengebäude zu errichten, in das alle diese Teile der Sprache organisch und widerspruchsfrei passen. Dass ein solches Ziel niemals perfekt zu erreichen ist, spricht nicht gegen das Ziel. Es gibt stets Grenzfälle von Sätzen, die entweder der sprachlichen Wirklichkeit zuzurechnen sind oder als untypische Fremdkörper anzusehen sind, die also von der Mehrzahl der Muttersprachler als "nicht gut" bewertet werden. Deren Zahl hat sich jedoch als erstaunlich klein erwiesen, das Sprachgefühl der Filipinos scheint recht homogen zu sein. Also stand ich vor der Aufgabe, eine Darstellung der Syntax zu erarbeiten, die alle vom Muttersprachler als "brauchbar" bis sehr gut eingestuften Beispiele umfasst.

Grundannahmen

Die nachfolgenden Grundannahmen haben sich nach meiner Erfahrung am fruchtbarsten erwiesen, zu einer umfassenden und konsistenten Syntax zu kommen.

In diesen Grundannahmen fehlen Begriffe wie Verb und Nomen und die der anderen Wortarten (daher der etwas polemische Titel dieses Aufsatzes). Der wichtigste Grund dafür ist, dass die filipinische Sprache erheblichen Gebrauch von Affigierung macht, diese jedoch kaum wortartspezifisch ist. Das einzige wesentliche Flexionsparadigma ist die Tempus- bzw. Aspektflexion der Verben. Die dabei entstehenden morphologischen Formen sind vorwiegend wieder nicht wortartspezifisch, sie werden ohne zusätzliche Anpassungen für das prädikative Verb, attributiv und auch substantivisch verwendet.

Auf der anderen Seite können unterschiedliche Wortarten in einer Funktionsphrase Verwendung finden: An dieser Stelle gilt, dass alles, was semantisch "passt", syntaktisch richtig ist. Das ist besonders offensichtlich für das Prädikat, das kein Verb erfordert und gilt in meiner "Syntax" ebenso für das Subjekt, das neben einem Nomen (fast) alle anderen Wortarten erlaubt.

Das weitgehende Fehlen von Flexionsparadigmen macht eine Unterscheidung von Wortarten auch aus einem anderen Grund weniger relevant. Wo es keine Flexion gibt, kann es keine Kongruenz bezüglich dieser Flexion geben. Auch hier gilt im Filipino wieder, dass alles, was semantisch passt, ohne eine kongruenzanzeigende Anpassung morphosyntaktisch richtig ist.

Die Gleichgültigkeit der filipinischen Syntax gegenüber den Wortarten hat eine weitere Folge: Eine Kasusdeklination der Nomina ist für die filipinische Syntax irrelevant, da sie wortartgebunden ist. Ich gehe einen Schritt weiter und sage, dass es in der filipinschen Sprache keine Kasusdeklination und daher keine Nomen-Kasús gibt.

Die oben dargestellte syntaktische Akzeptanz von allem, was semantisch "passt", sollte nicht zu der Annahme verleiten, dass Filipino eine syntaktisch besonders tolerante Sprache ist. Dort, wo es für die Sprache wichtig ist, fehlt jegliche Toleranz (Beispiel ist die Reihenfolge enklitischer Kurzwörter). Wortarten sind nicht wichtig, und da ist Toleranz zugelassen.

Ergänzungen zu den Grundannahmen

Die oben dargestellten Grundannahmen können und müssen ergänzt werden, um besondere Eigenschaften der filipinischen Sprache einzubeziehen. Dazu gehören:

Bloomfield's Grammatical Analysis

So weit meine eigenen Vorstellungen von der syntaktischen Struktur des Filipino. Wie sieht die Linguistik dieses Thema? Die Arbeit von Bloomfield aus dem Jahr 1917 entspricht weitgehend meinen Grundannahmen (wenn man von unterschiedlichen Bezeichnungen absieht).

Andere Schulen in der Linguistik

Die Bloomfield'sche Analyse wird in vielen neueren Arbeiten nicht geteilt oder gar nicht erwähnt. Stattdessen werden oft aus indoeuropäischen Sprachen übernommene Prinzipien auf die filipinische Sprache angewandt.

Das Fokussystem der filipinischen Verben wird in der Linguistik ausgiebig untersucht. Dabei können Argumente der Verben (die aus semantischen Gründen Nominalphrasen sind) ihre syntaktische Funktion tauschen. Betrachtet man ausschließlich dieses Fokussystem, so mag der Eindruck entstehen, dass die filipinische Sprache ein ANG-NG-SA Paradigma der Nominalphrasen besitzt. Eine umfassendere Sicht aller Phrasen (einschließlich nicht tauschbarer Argumente von Verben und Nicht-Argument-Phrasen) zeigt jedoch, dass dieses vermeintliche Paradigma aus einigen Elementen einer größeren Funktionsphrasen-Inhaltsphrasen-Matrix besteht, die eine vollständige Beschreibung aller Phrasen erlaubt.

Das ANG-NG-SA Paradigma setzt eine Deklination und damit als Grundannahme eine Wortart Nomen voraus. Da Personal- und Demonstrativpronomen besonders häufig als Argumente von Verben verwendet werden, besitzt die filipinische Sprache ANG-, NG- und SA-Pronomen. Eine genauere Betrachtung zeigt, dass Klassen von mit Nomina gebildeten Phrasen nicht in ein ANG-NG-SA Paradigma eingepasst werden können. Dazu gehören Nomenprädikate, Nomina in Existenzphrasen, Nomina als Attribute zu Nomina (mit Ligatur) und Phrasen wie Isang araw pumunta ako ....

Ein weiterer Mangel des ANG-NG-SA Paradigmas wird scheinbar dadurch behoben, dass man alle Subjekte zu Nomina macht. Die "Nominalisierung aller Subjekte" findet sich bereits bei Bloomfield. Kein Autor zeigt, wo eine solche Nominalisierung sich hörbar oder sichtbar in der Sprache manifestiert oder sich anderweitig in der sprachlichen Wirklichkeit vermuten lässt. Nach meiner Auffassung sind unhörbare und unsichtbare Phänomene nicht vorhanden.

Von einigen Autoren wird der Tausch von Subjekt und Prädikat und damit das Phänomen der Nicht-Nomen-Subjekte in der filipinischen Sprache nicht gesehen. Komplizierte Erklärungen (z.B. zwei Teilsätze) werden zur Erklärung und Übersetzung herangezogen, die nach meiner Auffassung dem Wesen der Sprache widersprechen.

Offene Fragen

Nach meiner Überzeugung ist die vorgelegte "Syntax" ein brauchbarer und robuster Ansatz für die filipinische Sprache. Trotzdem bleiben einige Fragen offen. Dazu gehört die Frage nach einer semantischen Bestimmtheit von Nicht-Nomen-Subjekten. Ein weiteres offenes Gebiet ist das Verständnis der Präpositionen und Existenzphrasen, die nur "etwas mühsam" in dieses Modell einzupassen sind.

 

[1] Möller, A., Syntax der filipinischen Sprache, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa-37909     (4.82 MByte, 608 Seiten, 08. Juni 2010). Dort befinden sich ausführliche Beschreibungen der oben angesprochenen Themen und Literaturangaben.

 
Armin Möller, Lipa/Philippinen und Neuss/Deutschland, September 2010.
armin.moeller@germanlipa.de



Die filipinische Sprache von Armin Möller   http://www.germanlipa.de/text/unt_phrasen.html   03. August 2010

Die filipinische Sprache - Ende Studie Funktionsphrasen statt Nominalphrasen

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